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Caravaggio - Grablegung Christi

von Karima Knickmeyer


Dunkelheit. Es ist schon spät am Abend als zwei Männer einen leblosen Körper in die Erde herablegen. Drei Frauen, vertieft in Gebete, machen deutlich- es handelt sich um eine religiöse Szene, eine Grablegung. Wer aber ist der Mann, der Körper, der uns hier aus der Dunkelheit heraus entgegen getragen zu werden scheint? Überhaupt mutet die gesamte Gruppe doch etwas seltsam an, wie sie sich so ineinander verschränkt zu bewegen scheint.


Der Maler dieses Ölgemäldes, Michelangelo Merisi da Caravaggio, könnte der bloßen Anschauung nach jedermann dargestellt haben. Die grobschlächtigen, schlicht gekleideten Männer sind Männer aus dem Volk und Gleiches gilt augenscheinlich für die Frauen im Bild. Die gezeigten Figuren sind scheinbar gewöhnliche Menschen, sie lassen sich nicht als Heilige identifizieren. Und dennoch; der Künstler zeigt uns die Grablegung Christi durch Nikodemus und Johannes, begleitet von Maria, der Mutter Christi links außen, wie sie segnend und schützend ihre Arme ausbreitet, Maria Magdalena mittig, mit gesenktem Kopf und einer weiteren Frau, die als Maria von Cleopha bezeichnet wird und ihre Arme wie in Anrufung Gottes nach oben geworfen hat. 

Bei der Wahrnehmung dieser Szene geht es aber weniger um die Erhöhung von Christus und seinen Begleitern als unerreichbare, idealisierte Heilige aus der Bibelerzählung, sondern um die Einfühlung in das Schicksal Christi und die Trauer, den erlebten Schmerzen ganz realer Menschen. So als würde man ihn selbst erleben. Und das hat einen Grund. Dieses Bild wurde für eine Grabkapelle der Familie Vittrice in der Oratorianerkirche Santa Maria in Vallicella in Rom in Auftrag gegeben. Der Orden der Oratorianer möchte Gottesdienst und die Geschichte Jesu erlebbar und spürbar machen. Wenn wir uns also vorstellen, dass dieses Bild, diese Grablegung und Beweinung Christi, an einem Ort der Trauer und des Gebets für einen Verstorbenen gesehen und erlebt werden soll, lässt sich verstehen, warum es so wichtig war, dass man mit dem Gezeigten mitfühlen konnte. Der Ausdruck der Gebärden und des Körperlichen, der durch den dramatischen Hell-Dunkel Kontrast visuell eindrücklich beschrieben wird, ist das, was uns mitfühlen lässt. Die Nähe zu Jesus soll erfahrbar werden, denn er ist der Bibelerzählung nach nicht nur göttlich, sondern ebenfalls Mensch. Und somit lässt sich verstehen, wieso er kompositionell so dicht von den ihn Umgebenden umfangen wird. Er ist einer von ihnen.

Darüber hinaus hat das Bild aber noch eine weitere, wichtige Aufgabe – es soll Trauernden Hoffnung schenken. Aber wie? Wenn wir genau hinsehen, erkennen wir, dass die rechte Hand des vermeintlich Toten nicht schlaff herunterhängt, sondern dass er seine Finger zum Segensgestus hält und die Grabplatte berührt. Seine eigene Grabplatte? Doch wieso sollte er dieses, sein Grab, Mahnmal seines Martyriums, segnen?


Dieser Moment veranschaulicht, dass die Grablegung deshalb wichtig ist, damit auf sie die Auferstehung und so die Überwindung des Todes folgen kann. Ohne den Tod kein Erwachen, kein Überwinden des Leides, der Sünde, des bloßen menschlichen Daseins. Durch die aus dem Dunkel weiß hervortretenden Kleidungsfragmente der Figuren beschreibt Caravaggio zudem eine Diagonale. Das Leichentuch fällt hinab, unterhalb der Grabplatte deutet es auf den Tod. Um Christus Leichnam herum geschmiegt, präsentiert es uns die Sphäre des Menschlichen, Körperlichen und Diesseitigen. Durch die in Anrufung Gottes hochgeworfenen Arme Maria Cleophas wiederum deutet die Erzählung nach oben, in die Sphäre Gottes und der Erlösung, jenseits des Bildes und jenseits unserer Erfahrungswelt. Der Künstler vermittelt also den Trost der bevorstehenden Auferstehung bereits durch den Moment der Grablegung. Mehrere Momente, Sphären und Erfahrungen in einem einzigen Bild und das visuell spektakulär - Caravaggio zählt nicht ohne Grund zu den Koryphäen der europäischen Kunstgeschichte.



Caravaggio - Grablegung Christi

Öl auf Leinwand, 1600-1604, 300 x 203 cm, Vatikanisches Museum in Rom

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