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Otto Modersohn - Dorfstraße in Worpswede

von Charlott Feline Bauer


Vor mehr als einhundert Jahren beschrieb einer der bedeutendsten Dichter der modernen Literatur, Rainer Maria Rilke, eine kleine Ortschaft in Niedersachsen wie folgt:

„Und doch schien alle Vergangenheit und die Pracht aller Vergangenheiten irgendwie darin enthalten zu sein. Als hätte man ein farbiges Zeitalter zerstampft und dann in die Sümpfe verrührt, aus denen diese Welt entstanden ist.‘‘ [1]

Diese Welt, von der hier die Rede ist, erzählt von dem, unweit von Bremen gelegenem Dorf Worpswede und seiner umliegenden Landschaften. Angesichts der pittoresken Natur mitsamt seiner sumpfigen Moorlandschaften, den zahlreichen Birken und endlosen Horizonten sowie dem ländlichen Leben der Dorfbewohner entschlossen sich Ende des 19. Jahrhunderts drei junge Männer eine Künstlerkolonie in dem Dorf zu gründen, darunter: Otto Modersohn, Fritz Mackensen und Hans am Ende. Mit ihrer obsoleten Haltung gegenüber der Akademie und dem Ansatz Kunst mit einem unmittelbaren Bezug zur Natur zu schaffen, fernab des urbanen Lebens, ist sie als ein Ableger der Schule von Barbizon aufzufassen, welche sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in der Nähe von Paris, unter dem französischen Landschaftsmaler Theodore Rousseau konstituiert hatte.


Das Gemälde ist beispielhaft für das Œuvre Otto Modersohns, aus dem zahlreiche Landschaftsmalereien hervorgingen und entstand zu Zeiten seines Schaffens in Worpswede. Eine leicht abfallende Straße eröffnet sich dem Betrachter und steht neben den, auf der rechten Bildhälfte platzierten Häusern im Fokus des Gemäldes. Das vordere Haus, eine Scheune, sowie der teilweise von Wolken bedeckte Himmel, bilden mit ihrer farblichen Gestaltung die hellsten Punkte des Gemäldes. Der morsche Zustand der Scheune, der hölzerne Zaun entlang des Weges sowie die Hühner und die Kleidungen der Figuren im Bildprogramm untermalen neben der ländlichen Szenerie das dörfliche Leben und seinen Alltag. Wenige Meter hinter der Scheune steht ein für die Worpsweder Baukunst typisches Fachwerkhaus, auch bekannt als „Hallenhaus“ oder „Niedersachsenhaus“. Insbesondere das braune Reetdach aus Schilfrohr, hier den dunkelsten Punkt bildend und mit der Scheune kontrastierend, gehört zu dem wesentlichen Merkmal dieser Architektur. Die Schattenwürfe, welche annehmen lassen die Sonne stehe tief, die gelben Blümchen auf den Wiesen, die dunkle Wolke in der oberen linken Bildecke sowie die fast vollständig verdünsteten Pfützen am unteren Bildrand sind Grund zur Annahme, dass Modersohn hier einen kühlen, sommerlichen Nachmittag nach einem kürzlich abgezogenem Regenschauer festhielt. Mit diesem Werk schuf Otto Modersohn eines seiner bekanntestes Landschaftsgemälde.


Geprägt wurde Otto Modersohn in seiner Kindheit vom westfälischem Soest mitsamt seiner sakralen Bauwerke und vielen kleinen Gärten. Nach einem Aufenthalt in Münster entschied er sich für die akademische Laufbahn und ging an die Düsseldorfer Malerschule, wo er eine Freundschaft zum Kommilitone Fritz Mackensen aufbaute. Dem folgte ein Aufenthalt an der Universität in Kassel. Doch weder in Düsseldorf noch in Kassel fand er das, wonach er in seiner Ausbildung zum Künstler suchte, sodass er sich mit dem Umzug nach Worpswede und der Gründung der Künstlerkolonie endgültig gegen den akademischen Werdegang entschied. Weitere, bekannte, der Kolonie später hinzugetretenen Künstler waren unter anderem Fritz Overbeck, Heinrich Vogeler, Clara Westhoff, August Haake sowie die zweite Ehefrau Otto Modersohns, Paula Modersohn-Becker, die ihn in seinem künstlerischen Schaffen deutlich beeinflusste und prägte. Die Künstlerkolonie gilt, wegen ihrer künstlerischen Vielfalt und Fertigkeit in der impressionistischen und expressionistischen Kunst sowie mit ihren Artefakten des Jungendstils als einer der bedeutsamsten Künstlervereinigungen der deutschen Kunstgeschichte.


[1] Rilke, Rainer Maria: Worpswede, 12. Aufl., Frankfurt am Main 2015, S.116.


Otto Modersohn - Dorfstraße in Worpswede

Öl auf Leinwand, 1896/67, 102 cm x 170 cm , Otto Modersohn Museum in Fischerhude

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