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Sandro Botticelli - Die Geburt der Venus

von Charlott Feline Bauer


Dem griechischen Dichter Hesiod zufolge beginnt die Geschichte der Venus mit dem Zorn und der Wut Gaias. Die Göttin der Erde leidet unter der Gefangenschaft ihres Gatten Uranos, Gottheit des Himmels, der unabdingbar über sie und ihre gemeinsamen Kinder wacht. Um dem ein Ende zu setzen, beauftragt Gaia ihren jüngsten Sohn Kronos die Genitalien des Himmelgottes mit einer Sichel, während eines Liebesaktes, abzutrennen und ins Meer zu werfen. Daraufhin vermengen sich Gischt und Genitalien, Schaum steigt aus dem Meer empor und bringt letztlich die Göttin der Liebe, Sinneslust und Schönheit hervor: Venus war geboren.

Unter diesem Aspekt handelt es sich genaugenommen bei Sandro Botticellis Gemälde nicht um die Geburt der Venus - wie der Titel vermuten lässt - sondern um ihre Ankunft auf der Insel Zypern. Denn erst nach ihrer Geburt wurde die Göttin von Zephyr, einem Windgott, an das Ufer der Insel gebracht: eine mythologische Szene, die Botticelli in seiner Geburt der Venus, nach der literarischen Quelle stanza per la giostra des Humanisten und Dichters Angelo Polizianos, verarbeitete. Damit schuf er nicht nur ein Meisterwerk der italienischen Renaissance , sondern eine der berühmtesten Venusdarstelllungen aller Zeiten.


Im Zentrum des Gemäldes erstrahlt die unverkennbare Göttin der Schönheit. Ihr von weichen Kurven gezeichneter Körper steht im klassischen Kontrapost  auf dem goldenen Wirbel einer Muschel. Ihr linker Fuß ist zart auf dem Schalenrand abgestützt und kündigt ihr baldiges Heraustreten aus der Muschel an. Lediglich eine ihrer Brüste bedeckt sie mit ihrer rechten Hand, mit der anderen ihren Schambereich, wobei sie das Ende ihrer außergewöhnlich langen, gold-gelockten Haare, die im Winde des Zephyrs wehen, festhält. Mit ihrem, zur rechten Schulter geneigten Kopf und leicht gesenkten Blick erzeugt sie einen Eindruck der Ruhe und Gelassenheit.


Geziert wird die Göttin von drei Begleitern. Zu ihrer Rechten schweben eng umschlugen Zephyr und seine Gattin, die Nymphe Chloris. Von dunkelgrünen und gold-akzentuierten Flügeln getragen, scheinen beide Figuren flink durch die Luft zu gleiten, sodass ihre Draperien nur teilweise ihre Körper bedecken. Ihre Blicke sind der jungen Schönheit gewidmet. Mit aufgeplusterten Wangen stößt Zephyr hier vermutlich den letzten Windhauch aus, der die Venus endlich an das Ufer der Insel zu bringen vermag. Seine Mimik und der nach hinten gestreckte Arm zeugen von starkem Willen und fester Entschlossenheit, diesen letzten, entscheidenden Moment der Ankunft herbeizuführen.


Zu ihrer Linken steht eine Hore, die sie zu Empfangen erwartet. Mit ausgestreckten, offenen Armen hält sie der ankommenden, noch nackten Göttin ein rosarotes Purpurgewand mit orangen und weißen Frühlingsblumen entgegen, dass sie bei ihrer Ankunft auf dem Festland bekleiden soll. Selbst trägt sie ein weißes, ebenfalls mit Frühlingsblumen geschmücktes Kleid und ist somit die einzig, vollständig bekleidete Figur in Botticellis Gemälde. Zwischen ihren Füßen rankt sich eine blaue Anemone. Sie und die Frühlingsblumen auf den Gewändern sind gemeinsames Zeichen dafür, dass es sich um eine Hore des Frühlings handelt. [1] Um ihren Hals und ihre Taille befinden sich Rosenkränze, welche - wie die sich, um Zephyr und Chloris windenden Rosen in der Luft - auf die Venus verweisen: laut der griechischen Mythologie wuchsen mit der Geburt der Venus Rosensträucher auf dem Festland. [2]


Als Auftraggeber des Gemäldes ist der Kaufmann Lorenzo di Pierfrancesco der florentinischen Bankiersfamilie de’ Medici bekannt. Dies ergibt sich aus der Gestaltung des Hintergrundes, der neben der sich, bis zum Horizont erstreckenden Küstenlandschaft, auch einen Orangenhain aufweist, welchen die einflussreiche und kunstinteressierte Familie de’ Medici besaß. [3]


[1] Vgl. Lightbrown, Ronald: Sandro Botticelli, München 1989, S.159.

[2] Vgl. Zöllner, Frank: Botticelli, München 2009, S.91.

[3] Vgl. Zöllner, Frank: Botticelli, München 2009, S. 89.



Sandro Botticelli - Die Geburt der Venus

Tempera auf Leinwand, um 1482–1483, 172,5 × 278,5 cm , Galleria degli Uffizi in Florenz

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