Motive, Symbole, Figuren
Was ist eine "Simultandarstellung"?
In diesem Bild ist etwas ungewöhnlich. Hier sehen wir die Geschichte der Susanna im Bade. Finden wir das Bildthema bei anderen Künstlern, so zeigen diese eine schöne Nackte, die von zwei Männern bedrängt wird. In diesem Bild von Albrecht Altdorfer hingegen, sitzt Susanna recht sittsam bei einem Fußbad, die zwei Männer sind in den Büschen versteckt. Und lassen wir unser Auge nach rechts schweifen, so finden wir eine Stadt vor, raumeinnehmend. Auf dem Marktplatz ist die Steinigung der beiden Männer zu sehen. Aber wie können diese an zwei Orten gleichzeitig sein? Und wieso?
Diese Art der Darstellung, bei der zwei oder mehr Momente auf einem Bildgrund zusammenfallen, nennen wir „Simultandarstellung“. Zeitlich und räumlich stimmen die Ereignisse nicht mit der Chronologie der Geschehnisse überein. Das sind wir nicht gewöhnt und irritiert uns heute, entspringt aber dem Mittelalterlichen Verständnis von Ereignissen. Sie sind nicht parallel, weil sie zeitgleich stattfinden, sondern weil sei gleichbedeutend sind. Auch drückt sich hier das noch stark zyklische Verständnis dieser Zeit aus, in der viele Momente auf andere bezogen wurden oder ohne diese nicht richtig verstanden werden konnten. So auch hier: der linke Bildteil zeigt die Sünde, die Männer, die der Frau heimlich beim Bade zuschauen, die rechte wiederum die Strafe – die Steinigung auf dem Marktplatz. Somit erfüllt das Bild auch seine moralisierende und erzieherische Funktion.
Der Betrachter erkennt beide Seiten der Geschichte auf einen Blick. Besonders im sakralen Kontext finden wir dieses – theologische - Verständnis, in welchem Momente sich aufeinander beziehen und nicht alleine verstanden werden sollten. Beispielsweise bei diesem Werk Lucas Cranachs wird deutlich, dass der Sündenfall, eine Episode des Alten Testaments und die Kreuzigung Christi, eine Episode des Neuen Testaments hier sogar kompositorisch aufeinander bezogen werden, da sie sich gegenüberstehen. Damit wird ausgedrückt, dass die Ursünde, durch Adam und Eva begangen, erst durch den Kreuzestod Christi gesühnt wurde.
Bei der Passion Christi, die ja bekanntlich aus verschiedenen Stationen besteht, bot sich diese Art der Darstellung besonders an und ist häufig. Auf diesem Werk Hans Memlings sind sie fast wimmelbildartig zusammengefasst, so dass der Betrachter die einzelnen Szenen erkennen muss. Im Mittelpunkt steht die Geißelung Christi, am oberen Rand bspw. der Kreuzestod.
Ab der Renaissance wurde es wichtiger, einzelne Geschichten auf ihren Höhepunkt zuzuspitzen, im Barock wurde dieses Anliegen dann in Reinform ausgedrückt. In dieser Zeit wird die Dramatik höchstmöglich auf einen Punkt gesteigert. Susanna im Bade wurde meist auf das Bad der Frau und die erotische Annäherung der Männer reduziert. Damit wollte man nicht länger auf die Sittsamkeit der Dame aufmerksam machen, sondern hatte – durch den sakralen Kontext der Geschichte - eine willkommene Legitimation ein so erotisches Bildthema auf die Leinwand zu bannen. Die Freude bei der Betrachtung der schönen Nackten wurde also wichtiger als die christlich-moralische Botschaft. Simultandarstellungen verlieren sich zunehmend und sind im 17. Jahrhundert kaum mehr zu finden. Das bedeutet, dass die klassische Simultandarstellung, also wenn du mehrere Episoden einer Geschichte auf der Leinwand vorfindest, meistens ein Zeichen ist, dass es sich um Bilder handelt, die vor 1600 entstanden sind, wenn nicht früher.
Erst die Bewegung des Kubismus und Futurismus erfand die Simultaneität neu, stellte sich allerdings andere Fragen. So wurde jahrhundertelang angenommen, dass eine Beschränkung der Malerei die Zweidimensionalität sei. Mitnichten! Dachten sich die Kubisten und zerlegten Gegenstände und Personen in ihre geometrischen Formen, so dass man, wie bei diesem Werk von Juan Gris, nicht die klassische realistische Ansicht vorfindet, sondern Teile des Dargestellten aus verschiedenen Blickwinkeln. Auch die Futuristen, wie hier Umberto Boccioni, kombinierten verschiedene Ansichten in einem Bild. Damit ist dementsprechend also kein inhaltlicher Bezug gemeint, wie in der früheren Kunst, sondern eine Überschreitung des bis dahin geltenden Tellerrandes, dass Kunst Dreidimensionalität nicht abbilden kann.