von Alexandra Tuschka
Ein Pferdepo streckt sich uns entgegen. Anmutig ist er nicht unbedingt, dieses Pferd sieht einem Ackergaul ähnlicher als einem feinen Schlachtross. Das Licht, welches von rechts oben auf die Szene fällt, erhellt neben dem Tier auch den zum Boden gestürzten jungen Mann, der wie ein Käfer Arme und Beine von sich streckt. Die Augen hat er geschlossen. Er scheint von einer inneren Bewegung erfüllt zu sein. Ein weiterer, älterer Mann, ein Knecht, ist oben rechts zu sehen. Er kümmert sich um das Zaumzeug und hat nichts von der vorderen Szene mitbekommen.
Zu sehen ist das sogenannte „Damaskuserlebnis“ des Saulus. Saulus von Tarsus war der Sohn eines Pharisäers, er war ein gewaltsamer Verfolger der frühen Christen. Auf seiner Reise nach Damaskus erschien ein Licht am Himmel und er hörte die Worte „Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“. Das Licht streckte Saulus nieder. Auf seine Frage, wer zu ihm spreche, offenbarte sich die Stimme als Jesus. Auf dieses Erlebnis hin, erblindete er für drei Tage. Danach war er bekehrt und nannte sich von nun an "Paulus". Als Paulus wurde er zum Förderer der Christusgemeinde. Seine Briefe werden als „Paulusbriefe“ im Neuen Testament gesammelt, sie entstammen der Zeit aus 48 bis 61 n. Chr. und sind die ältesten erhaltenen Werke des Urchristentums.
Die „Bekehrung Pauli“ von Caravaggio war eines von zwei Wandgemälden, welches im September 1600 für die Familienkapelle des Tiberio Cerasi in Santa Maria del Popolo in Auftrag gegeben wurde. Neben der Kreuzigung Petri, welches sich links vom Altarbild von Annibale Carracci befindet, ist die Bekehrung des Pauli rechts zu sehen. Diese Anordnung wurde offenbar von Caravaggio bedacht, als er den Lichteinfall bei beiden Werken anpasste. Bis heute – eine Seltenheit – befinden sich beide Werke noch in ebendieser Kapelle und damit am originalen Ort ihrer Entstehung.
Eine erste Version des Themas, welches vorerst auf Holz ausgeführt wurde, wurde aus unbekannten Gründen abgelehnt. Womöglich war der Widerstand des Dargestellten hier allzu deutlich ausgefallen, und gefiel den Auftraggebern nicht. Im späteren Werk ergibt sich der Körper des Paulus seiner Vision, im Gesicht keine Spur von Widerstand. In der ersten Version hält sich der bärtige Mann beide Hände vor die Augen. Das Thema "Blendung" gegen den eigenen Willen wird hier stark verdeutlicht. Auch ist diese Szene viel belebter und dynamischer als die spätere. Vielleicht war die reduzierte Szene der Intimität des Momentes angebrachter. Christus, der im älteren Bild noch im Bild zu sehen ist und von einem Engel begleitet wird, wurde dann durch die unbekannte Lichtquelle ersetzt. Hier ist seine Anwesenheit nur noch symbolisch. Auch wurde aus dem alten, bärtigen Saulus ein junger Mann. Die Verkürzung des Körpers und Anordnung in den Bildraum hinein, machen zudem Caravaggios Können deutlich.
Das Pferd ist beiden Szenen ist eine Hinzufügung des Künstlers und wird nicht in der Bibel erwähnt. Caravaggio ist nicht der erste, der diese Szene durch das Tier belebt, dies hatte sich früh in der Kunst durchgesetzt. Der "Sturz" in der Bibel wird zum "Sturz vom Pferd" in der Kunst. Bereits Parmigiannio hatte das „Damaskuserlebnis“ auf diese Weise dargestellt. Bei diesem wird viel stärker suggeriert, dass das Pferd den Reiter abgeworfen haben könnte. Bei Caravaggio spricht einiges dagegen. Hier steht dieses ganz still, hebt behutsam den Huf. Auch ist es nicht gesattelt. Der erhobene Huf zeigt auch die absolute Ergebenheit und Hilflosigkeit des Paulus am Boden. Dieser ist in einem umkehrten Dreieck angeordnet. Dies ist einerseits sehr instabil, symbolisiert andererseits aber die Öffnung und das Empfangen der göttlichen Botschaft.
Die Blindheit wird auch als geistige Blindheit gedeutet, die Unfähigkeit Gott zu erkennen. Auch die Verlegung der Szene in einen intimen Rahmen, womöglich einen Stall und somit einen Innenraum, ist nahezu singulär. Meist spielt sich die Szene auf der Reise ab, inmitten von vielen Begleitern in der Landschaft. Saulus ist als Verfolger meist bewaffnet und führt ein Schwert mit sich, welches zu seinem Attribut werden wird; allerdings als Märtyrerwerkzeug, denn Paulus wird später von Nero hingerichtet. Auch der rote Mantel, auf dem er liegt, ist ein Attribut. Hier ist dieser ausgebreitet und bildet zum Grün der Rüstung einen Komplementärkonstrast. Die Waffe hingegen ist neben ihm zu Boden gefallen, stattdessen führt der Knecht unbewusst den Pferdekopf zur rechten Hand - zu einem treuen Begleiter für den weiteren Weg.
Caravaggio - Die Bekehrung des Pauli
Öl auf Leinwand, 1601, 230 x 175 cm, Santa Maria del Popolo, Rom
Caravaggio - Die Bekehrung des Pauli (1. Version)
Öl auf Holz, 1699, Sammlung Odescalchi, Rom
Parmigiannio - Die Bekehrung des Pauli
Öl auf Leinwand, 1552, 177,5 x 128 cm, Kunsthistorisches Museum, Wien