von Alexandra Tuschka
Als der bedeutendste Vertreter des französischen Caravaggismus gilt George de la Tour. Das mag vielleicht an mangelnder Konkurrenz liegen, oder aber an der Tatsache, dass sich de la Tour in seinem Werk nicht nur stark an Caravaggios Hell- Dunkelspiel, sondern auch an seiner Themenwahl orientiert. Als ein Maler, der erst Anfang des 20 Jahrhundert wiederentdeckt wurde, zählen zu seinen heute gesicherten Werken weniger als 30 Gemälde.
Wie de la Tour Kenntnis über das Werk Caravaggios gewonnen hat, bleibt dabei Spekulation. Georges de la Tours Werke werden in Tagstücke und Nachtstücke unterteilt. Obwohl es infolge geringer Themen und Stilvarianz schwierig ist, sein Werk chronologisch zu gliedern, zumal nur zwei Bilder datiert sind, gehören seine Tagstücke wohl sämtlich in die Zeit vor 1635. Dieses Bild zählt zu den Tagstücken.
Zu sehen ist de la Tours Gemälde "Die Wahrsagerin", datiert um 1895. Die Szene der alten Frau, die einem jungen Mann aus der Hand liest, finden wir auch bei einem Gemälde Caravaggios. Dabei schmückt La Tour, neben den zwei Hauptpersonen - einer Wahrsagerin und einem jungen Mann, das Bild mit drei weiteren Personen. Die vier Diebinnen nehmen den jungen Mann aus. Obwohl er skeptisch ist gegenüber der alten Wahrsagerin gehört ihr seine Aufmerksamkeit. Unbemerkt können die zwei Mädchen rechts in seine Tasche greifen, unbemerkt bleibt auch das helle Mädchen im Hintergrund, die dem Jungen Mann seine Schaunmünze stiehlt. Die alte Zigeunerin hält das Goldstück, das der junge bereits bezahlte in der Hand. Nach Zigeunertradition schlägt sie damit ein Kreuz über der offenen Hand des jungen. De la Tour scheint Kenntnis der Stammessitten zu haben. Jungfrauen trugen offenes Haar, verheiratete versteckten es unter einer Haube oder einem Tuch. Ein unter dem Kinn geknotetes Tuch aber bedeutete, dass ein Mädchen weder Jungfrau, noch verheiratet war. Womöglich bietet die Zigeunerin dem Jungen die Frau später an.
Bei seinen Tagstücken zeigen sich die Personen meist frontal, wie auf einer Bühne. De la Tours weitere Tagstücke zeigen Szenen des "Schelmenlebens" zeigen Musikanten, Zigeuner, zwiespältige Personen, deren zwiespältige Tätigkeiten in den Bildern zum Ausdruck kommt. Zu den Tagstücken zählen daher Themen wie Betrug beim Kartenspiel, ein Kampf zwischen Musikanten, ein blinder Musikant, eine flöhesuchende Frau und ein Erbsen essendes Bauernpaar. Szenen also, die stark an Caravaggios Themenwahl und dessen Realismus angelehnt sind.
Man geht davon aus, dass La Tours Nachtstücke, die sich dann auch thematisch von seiner ersten Schaffensphase abwenden, ab 1635 entstehen. In seinen Nachtstücken wendet sich de la Tour vermehrt religiösen Themen zu. Bei de La Tour - im Gegenteil zu Caravaggio - wird der Betrachter über die Lichtquelle in Kenntnis gesetzt- bei de la Tour findet sich immer eine Fackel oder eine Kerze im Bild. Die Kerze als Lichtquelle mag für den Künstler interessant erschienen sein, da sie das nähere Umfeld stark erleuchtet, jedoch außerhalb ihres Lichtfeldes kaum noch Licht spendet. Das macht die Stimmung in La Tours Bildern seltsam intensiv. Natürlich ist auch die ikonographische Bedeutung der Kerze als "Anwesenheit oder Licht Gottes" nicht zu unterschätzen. Bei dem vorliegenden Gemälde arbeitet de la Tour neben dem Symbol der Kerze auch mit dem Totenkopf als offensichtliches Vanitassymbol. Maria Magdalena ist in einer andächtigen Pose dargestellt. Den Blick wendet sie vom Betrachter weg und mit der linken Hand hält sie ihre Wange. Die rechte liegt entspannt auf dem Schädel, der auf ihrem Schoß liegt. Sie schaut zaghaft in das Licht. Maria ist somit in ihrem historischen und symbolischen Zwiespalt gezeigt - ein Mensch, der von Natur aus sterblich und sündig ist, wird durch die Liebe Gottes auch über den Tod hinaus erhoben.
George de la Tour - Die Wahrsagerin
Öl auf Leinwand, 123,5 x 101,9 cm, c.1632 - c.1635, Metropolitan Museum of Art, New York
George de la Tour - Die büßende Maria Magdalena
Öl auf Leinwand, ca. 1640-1650, 128 × 94 cm, Musée du Louvre, Paris