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Rembrandt - Die Entführung Ganymeds

von Alexandra Tuschka


Der junge Hirte Ganymed treibt seine Schafe auf die Wiesen. Da er der schönste aller Jünglinge ist, wird auch Gottvater Zeus auf ihn aufmerksam; er will ihn zu seinem Mundschenk machen. In Gestalt eines Adlers nähert er sich dem Jungen, ergreift ihn vor den Augen seiner Gefährten und entführt ihn auf den Olymp.


Eine pikante und berühmte Ganymed-Darstellung finden wir heute in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden. Der Niederländer Rembrandt entschied sich 1635, entgegen jeder Bildtradition, den Jungen als weinendes, dickliches und wohl bemerkt recht unansehnliches Kleinkind darzustellen. Düster mutet das Gemälde an. Allein Ganymed, in der Bildmitte angeordnet, ist in hellen Farben gestaltet und wird zum ersten Blickfang des Bildes. Der Junge ist grundsätzlich rücklings zu sehen, dreht dem Betrachter jedoch über seine linke Schulter das Gesicht zu - die Augen hat Ganymed geschlossen, der Mund ist weit aufgerissen und die Nase gerümpft.

In der linken Hand hält der Knabe einen Bund Kirschen, die rechte Hand hingegen ist ausgestreckt und scheint den Adler wegstoßen zu wollen. Er trägt ein Hemd, welches aber durch die Krallen des Vogels nach oben gezogen ist und somit Teile seines Rückens und den blanken Po entblößt. Auch einen runden Bauch kann man im Profil erkennen. Vor diesem baumelt eine rote Quaste. Und noch etwas stößt uns komisch auf – der Junge uriniert!

Der imposante Adler hat seine Flügel so weit ausgebreitet, dass der Bildrand sie zu beiden Seiten beschneidet. Der Vogel hat tiefschwarze Augen, und entgegen der Auffassung, der Adler sei der würdevollste aller Vögel, drückt dieser keine Leichtigkeit aus. Nichts Majestätisches ist erkennbar - Flügel, Krallen, Schnabel und Blick verbildlichen sein mühevolles Vorhaben.

Im Hintergrund wird die dunkle Wolkenformation von einem diagonalen, helleren Lichteinbruch geteilt. Der restliche Hintergrund ist nur schwammig erkennbar. Architekturelemente unten links und ein Waldstück unten rechts symbolisieren noch schwach die weltliche Sphäre, aus der Ganymed entrissen wird.

Auch die umgekehrte Dreieckskomposition der Gruppe stellt eine äußerst instabile Formation dar, welche das Bildthema unterstützt. Die Betonung von Ganymeds Po und Beinen ziehen die Komposition nach unten. Rembrandt ordnet die Gruppe dennoch etwas oberhalb des Bildmittelpunktes an, um anzudeuten, dass der Adler in seinem Vorhaben erfolgreich sein wird und Ganymed schließlich in den Himmel entführen kann. Ganz intuitiv wirkt das Gemälde auf den Betrachter parodierend, und seit Jahrzehnten wird darüber spekuliert, was genau Rembrandt auf die Schippe nehmen wollte – war es die Antike selber, der Umgang mit ihr oder beides gleichzeitig?


Dafür muss man verstehen, dass die meisten Künstler vor Rembrandt diese Szene sehr entrückt dargestellt haben. Hier finden wir meist sehr schöne Jünglinge, die sich einvernehmlich in den Himmel entführen lassen. Das Motiv wurde auch oft mit der Homoerotik in Verbindung gebracht, weshalb Ganymed häufig mit einem blanken Po zu sehen ist. Diese Szene hat Rembrandt hier freilich parodiert. ​


Forschungsmeinungen könnten sich uneiniger nicht sein - einerseits könnte Rembrandt ein naiver und vulgärer Sittenloser sein, der ohne Verständnis für das klassische „decorum“ arbeitete, andererseits ein Gelehrter, der in seinem Ganymed-Gemälde alle Register humanistischer Bildung zog und auf subtile Weise politische und gesellschaftskritische Aussagen offenbarte.



Rembrandt - Ganymed

Öl auf Leinwand, 1635, 177 x 130 cm, Galerie Alte Meister in Dresden

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